Etwas
wird sichtbar
Volksbühne
Hat man lang nicht gesehen: Menschen, die vom Grundsätzlichen träumen, besetzen
ein Haus
Matthias Dell | Ausgabe 39/2017 7
Etwas wird sichtbar
Ob Chris Dercon das meinte, als er Partizipation
propagiert hat?
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Foto: Christian Thiel/Imago |
Warum nicht mal die Machtfrage stellen? Wem die Stadt
gehört, ist mittlerweile ein geläufiger Slogan, der immer mal wieder auf
irgendwelchen Podien diskutiert wird. Ist der Veranstalter solcher Gespräche
institutionalisiert, gibt’s für die eingeladenen Experten sogar Honorar und
hinterher Wein und Laugengebäck. Damit können auch Journalistinnen umgehen,
weil sie manchmal drüber berichten oder selbst auf dem Podium sitzen.
Was dagegen seit dem 22. September an der Berliner
Volksbühne geschieht, ist schwerer zu fassen: Ein Netzwerk von Leuten –
Künstler, Kulturarbeiter, Studentinnen, die sich auf Facebook als Gruppe „Staub
zu Glitzer“ organisiert haben – hat die Berliner Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz besetzt. Einfach so. Mit dem Ziel, unter einer
Kollektivintendanz (tägliches Plenum) die nächsten zwei Jahre das Haus zu bespielen.
Am Montag ging das Programm etwa los mit: „13-17 Kinderschminken, 17-18 HADES,
TLMEA – zwei experimentelle Kurzfilme des Künstlers Kevin Kopacka, um 24 Uhr
endete es mit „Hexenhochzeit“ und anschließender Party.
Geht’s jetzt wirklich darum, Theaterhäuser zu besetzen?
Ist das 1968, 1980 oder 1989 nicht viel besser und richtiger gemacht worden?
Und darf man das überhaupt – dem zwar von vielen kritisierten, aber doch
offiziellen Intendanten Chris Dercon (die Besetzerinnen bieten ihm einen Platz
im Kollektiv an) das Haus wegbehaupten?
„Er (Dercon) liefert nur den Vorwand und die Gelegenheit,
sich die Kontrolle über eine attraktive Immobilie anzueignen“, schreibt am
putzigsten der Theaterimmobilienmakler Peter Laudenbach in der Süddeutschen
Zeitung. An der 1A-City-Lage seiner Sprache wird erkennbar, wie wenig Fantasie
in den Bereichen der Gesellschaft herrscht, in denen die Welt geordnet, die
Eigentumswohnung abbezahlt und das Erbe in geschmackvollen Restaurants
verfuttert wird. Die anderen, jemanden von den zwölf Millionen Deutschen unterhalb
der Armutsgrenze, die kennt man nicht; auch deshalb sind sie einem suspekt.
Und deshalb macht die Volksbühnen-Besetzung etwas
sichtbar: Wenn man die Machtfrage stellt, dann ist es nur konsequent,
grundsätzlich zu werden (und nicht etwa drei Extra-Förderungen aus dem
Hauptstadtkulturfonds zu erpressen). Dann redet man von allem. Was dabei
herauskommt, hängt nicht davon ab, ob einem Leute, die den Gendergap sprechen,
eh nie sympathisch waren oder man Basisdemokratie für überholt hält: Es geht
allein um die Frage, ob es „VB61-12“ (so heißt die Aktion nach der aktuell
kleinsten Atombombe) gelingt, den sich genommenen Raum mit Sinn zu füllen. Mit
Menschen. Mit Gesellschaft.
Seit 26. September liegt ein Verhandlungsangebot vor,
dass Kultursenator und Dercon-Intendanz gemacht haben – die Besetzer könnten
den Grünen Salon und den Pavillon auf der Westseite des Hauses bespielen.
Möglich, also denkbar ist die Aktion erst geworden durch
das Sinnvakuum, das Dercons Berufung zum Intendanten der Volksbühne aufgetan
hat. Begleitet wird die Besetzung von Ironien – dass der Verhandlungspartner in
der Politik der Linken-Kultursenator Klaus Lederer ist, der sich noch erinnern
kann, wie seine Partei 1994 Asyl in dem Haus fand. Oder dass Dercon auf dem
Tempelhofer Feld, wo seine Arbeit mit Boris Charmatz’ Massentanz begann,
Partizipation propagiert. Und dann durch die Stadt hin zum Rosa-Luxemburg-Platz
ziehen wollte. Nun ist die Stadt schon vor ihm da. Schauen wir, was bleibt.
Geschrieben von
Matthias Dell
Filmverantwortlicher